Erfahrungsbericht Dartmouth College 1996/97 Jan Lammerding

Sollte ich meinen Aufenthalt in den USA am Dartmouth College mit nur einem Wort zusammenfassen, würde ich es als definitiv lohnenswert bezeichnen. Um jedoch einen umfassenderen Einblick zu liefern und den Nachfolgenden einige nützliche Tips zu geben, versuche ich noch einmal Bilanz zu ziehen und die Ereignisse der vergangenen 12 Monate zu rekapitulieren.

Vorbereitung: Unsere Reiseplanung beschränkte sich auf das Buchen eines möglichst günstigen Fluges sowie eines Mietwagens für die erste Woche in den Vereinigten Staaten. Der Wagen leistete uns dann auch sehr nützliche Dienste beim Erkunden des Umlandes und zur Wohnungseinrichtung, da fast alle größeren Geschäfte außerhalb Hanovers angesiedelt sind. Hilfreich, aber nicht unbedingt notwendig, ist es, das Vorlesungsverzeichnis im Vorhinein durchzuarbeiten, da gleich zu Beginn des Semesters ein kompletter Studienplan mit der Kurswahl für die nächsten 9 Monate fällig ist. Da hilft es, wenn man seine Kurswahl schon ein wenig einschränkt, um sich dann vor Ort nach Rücksprache mit den Professoren endgültig festzulegen. Man sollte mindestens eine Woche vor Semesterbeginn in den USA eintreffen, um genügend Zeit zum Einleben und Einrichten zu haben. Sobald das Semester einmal begonnen hat, findet sich kaum noch Zeit für all die notwendigen Besorgungen oder Ausflüge in die nähere Umgebung, welche durchaus sehenswert ist, zumal schon bald der Indian Summer mit einer atemberaubenden Färbung der Wälder einsetzt.

Wohnen: Die Zuweisung der Unterbringung erfolgt durch die Uni, wenngleich man dieses Angebot natürlich ablehnen und sich selbst auf die Suche nach einer Bleibe machen kann, was ich jedoch nur für bedingt empfehlenswert halte. Die Qualität der Uni-Wohnungen schwankt je nach Unterbringungsstandort. Sie sind jedoch alle sehr geräumig und völlig ausreichend für einen Jahresaufenthalt. Unsere Wohnung (für Insider: 10 North Park Street), etwa 1 km von der Engineering School, dafür aber direkt in der Nähe des Sportzentrums gelegen, bestand aus fünf Wohneinheiten für je drei Studenten. Jeder besitzt sein eigenes Zimmer, dessen Größe zwischen ca. 10-16 qm liegt. Desweiteren gibt es eine nette Küche sowie ein großes Wohnzimmer mit Kamin, das sich auch hervorragend für gesellschaftliche Zusammentreffen (= Parties) eignet. In unserem Fall waren die benachbarten Apartments ausschließlich mit internationalen Studenten belegt, was jedoch nicht immer der Fall ist. Als einziger Nachteil dieser Wohnungen ist die extreme Lärmempfindlichkeit innerhalb der Apartments hervorzuheben, da die Zwischenwände nur aus dünnen Sperrholzplatten bestehen, die es fast unmöglich machen weiterzuschlafen, sobald der erste Wecker im Nebenzimmer schrillt. Trotz allem halte ich die Unterbringung für sehr empfehlenswert, da sich in Hanover selbst kaum günstigere Wohnungen auftreiben lassen, und das tägliche Pendeln zwischen Uni und einem der Nachbarorte sicherlich auch nicht jedermanns Sache ist. Lediglich zum Vertiefen der Englischkenntnis wäre es vorteilhafter, mit einigen Amerikanern zusammen zu wohnen.

Studium: Das Studium sowohl an der Thayer School of Engineering als auch im College Bereich ist weitaus verschulter als man es aus Deutschland gewohnt ist. Die Klassengröße liegt meist zwischen 15-50 Studenten, allerdings hatte ich auch z.B. einen Kurs mit lediglich 3 Studenten. Da in der Thayer School den lediglich 120 Studenten etwas 20 Professoren gegenüberstehen, herrscht ein sehr familiäres Verhältnis vor. Professoren sind jederzeit ansprechbar und kennen ihre Studenten schon nach wenigen Vorlesungen namentlich. Allgemein sind alle Beschäftigten der Uni äußerst hilfsbereit und stehen mit Rat und Tat zur Seite, egal ob es sich um projektbezogene Arbeiten oder andere Fragen geht. Für den Bachelor of Engineering (BE) Abschluß benötigt man insgesamt 9 Kurse in 3 Terms a 10 Wochen. Dies klingt zunächst sehr wenig, aber neben den Vorlesungsstunden stehen Labore, Hausaufgaben, Zwischenprüfungen Semesterarbeiten und Projektberichte an, die den Arbeitsaufwand schnell ansteigen lassen. Wochen mit bis zu 100 Stunden Uniarbeit können schon mal vorkommen, gerade wenn zu Semesterende gleich mehrere Arbeiten fällig werden. Trotz dieses zum Teil hohen Arbeitsaufwandes habe ich den Aufenthalt jedoch nie bereut, zumal die selbstgewählten Projekte überaus interessant sind, so daß die Zeit wie im Fluge vergeht. Ein weiterer Vorteil der Hausaufgaben und Zwischenprüfungen besteht darin, daß sich die Lernvorbereitung für die einzelnen Klausuren erheblich verkürzt, und auch der Erfolgsdruck für diese Klausuren reduziert sich ungemein, da die Abschlußprüfung lediglich 25-35% der Endnote ausmacht und sich der Rest der Note aus den erbrachten Vorleistungen ergibt.

Soziales: Trotz oder gerade wegen der vielen Arbeit, die wohl unvermeidbar im amerikanischen Universitätssystem ist, sollte man nicht auf ein umfangreichen soziales Leben verzichten, wenngleich dies häufig noch einige zusätzliche Stunden wertvollen Schlafes kostet. Gerade das College-eigene Emailsystem (Blitzmail) dient dazu, sich rund um die Uhr mit anderen Studenten auszutauschen, Verabredungen zu treffen oder einfach nur die anstehende Arbeit ein wenig aufzuschieben ( procrastination). So sind denn auch alle Rechner auf dem College-Gelände vernetzt, und selbst in den Mensen und Sporthallen lassen sich Computer finden, um spätestens im Zweistundentakt ´´blitz zu checken´´. Neben dieser Beschäftigung, die schon sehr schnell zur Sucht wird, bietet das College noch ein reichhaltiges Sportprogramm an. So stehen dem sportbegeisterten Studenten eine Vielzahl von Squash-, Raquetball-, Tennis- und Basketballplätzen zur Verfügung, zwei Swimming Pools mit Sauna laden zum Bade ein, und auch der Kraftraum und der Golfplatz eignen sich hervorragend zur Ablenkung nach anstrengenden Arbeitstagen. Im Winter lockt dann das uni-eigene Skigebiet (Skipaß ganze 130$ für die Wintersaison), so daß der Anblick von Horden von mit Ski und Snowboard bewaffneten Studenten auf dem Weg von der Vorlesung zum Shuttle-Bus zwischen Januar und April zum gewohnten Bild gehört. In den meisten Sportarten werden übrigens auch universitätsinterne Wettkämpfe, sogenannte ´´Intramurals´´, ausgetragen, bei denen man sich dann für das Thayer-Engineering-Team einsetzen kann. Das sportliche Niveau schwankt dabei recht erheblich, aber generell ist jeder Interessent herzlich willkommen, und der Sport bietet eine gute Gelegenheit, neue Freunde kennenzulernen. Andere Gelegenheiten zum Erweitern des Freundeskreises bieten die wöchentlichen Parties der Fraternities oder anderer Verbindungen, bei denen man allerdings schnell feststellt, wo es einem behagt und welche Häuser man doch lieber meidet.

Fazit: Ich habe an der Thayer School ein unvergeßliches Jahr erlebt, an das ich noch lange zurückdenken werde. Gerade den Kontakt zu einer Vielzahl neuer Freunde hoffe ich lange aufrecht erhalten zu können, sei es durch fortwährenden Emailaustausch oder gegenseitige Besuche. Natürlich gibt es auch in den USA neben viel Licht auch etwas Schatten, und die hohe Arbeitsbelastung mit nahezu konstantem Schlafmangel sowie die teils recht heftigen Preise in Hanover sorgen nicht immer für Freude, sind jedoch schnell vergessen angesichts des Spaßes, der uns ein Jahr begleitete.


Jan Lammerding