Integriertes Auslandsstudium am Dartmouth College, USA

Erfahrungsbericht von Dieter Ulber



Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Studenten,

mit großer Freude über die Zusage zur Teilnahme am integrierten Auslandsstudium am Dartmouth College in New Hampshire, USA, das von Prof. Renz vom Institut für Wärmeübertragung der RWTH Aachen betreut wird, startete ich die Vorbereitungen für den einjährigen Auslandsaufenthalt. Um es vorwegzunehmen, ich bin im Verlaufe des Programms niemals in meinen Erwartungen und meiner Freude enttäuscht worden. Trotzdem werde ich versuchen, in diesem Bericht auch Verbesserungsvorschläge anzumerken, die das Gesamtbild in keiner Weise trüben können.

Ich hatte bereits im Vorhinein von ehemaligen Teilnehmern einige Informationen über das Leben an dem amerikanischen College bekommen. Insbesondere möchte ich Dirk Müller vom Institut für Wärmeübertragung danken, der uns vor und während des Aufenthalts sehr gut betreut hat. Es war deutlich zu erkennen, daß bereits mehere Generationen vor uns am Programm teilgenommen hatten, denn auf beiden Seiten war die Organisation vorbildlich. Am Dartmouth College ist Prof. Richter für die Betreuung der Studenten zuständig, der vielen deutschen Studenten die Möglichkeit gibt, eine Studien- oder Diplomarbeit an der Thayer School for Engineering zu ermöglichen. Allen Studenten, die diesen Bericht lesen und an dieser Möglichkeit Interesse finden, aber nicht für das IAS-Programm ausgesucht wurden, rate ich, sich unbeschwert an Prof. Richter zu wenden.

Ich sehe es als Herausforderung, an einer Hochschule in einem fremden Land zu studieren, das einem so viele Möglichkeiten eröffnet wie das Dartmouth College. Diese Möglichkeiten sind gleichermaßen von persönlicher, kultureller und fachlicher Natur. Ich möchte gerne an Beispielen erläutern, was ich damit meine. Die jüngeren, amerikanischen Studenten, die „Undergraduates", sind häufig das erste Mal für längere Zeit von zuhause entfernt und werden von den Professoren dazu angeleitet, Eigeninitiative in ihrem studentischen Leben zu zeigen. In diversen Kursen - wir konnten im IAS-Programm an zwei außerfachlichen Kursen teilnehmen - ist es möglich vor einer mehr oder weniger großen Gruppe frei zu sprechen oder aufzutreten, sei es um eine politische Rede zu halten, in einem Orchester zu musizieren oder an einem Theaterstück teilzunehmen. Natürlich kann man auch vor der Bühne im kulturellen Zentrum, dem Hopkins Center, neben den studentischen Aufführungen, wie z.b. Musicals oder Dramen, Künstler aus aller Welt für ein Taschengeld bewundern und sich von ihnen anregen lassen. Ich habe noch nie vorher an so vielen Veranstaltungen mit soviel Freude teilgenommen wie in diesem Jahr und wie jetzt auch nach meiner Rückkehr in Deutschland. Ich suche im Moment einen Fußballverein, um eine Jugendmannschaft zu trainieren. Der sportliche Ausgleich wird in den Vereinigten Staaten fast unbegrenzt unterstützt und gefördert. Dabei stehen nicht unbedingt sportliche Höchstleistungen im Vordergrund, wie oft vermutet wird.

Ebenso kann ich empfehlen, an Sprachkursen teilzunehmen, die einem intensiven Crash-Kurs nahekommen. Jeden Tag der Woche werden aktiv das Sprechen und Verstehen, Vokabeln und Grammatik gelehrt. Zusätzlich gibt es am College viele internationale Studenten, die man kennenlernt und mit denen man verständlicherweise mehr Gemeinsamkeiten teilt als mit den amerikanischen Studenten. In unserem Appartementwohnheim für „Internationals" fingen Inder, Chinesen, Franzosen, Rumänen, Südamerikaner gleichzeitig mit uns an zu studieren, zu kochen und die neue Umgebung kennenzulernen. Ich wünsche mir in Zukunft auch mehr internationale Studenten an der RWTH Aachen kennenzulernen und von ihnen zu lernen.

Zudem hatte ich die Chance, mich jederzeit mit meiner amerikanischen Gastfamilie zu treffen, ein Programm, das vom „International House" organisiert wird und für das sich leider nur wenige melden. Wer jetzt denkt, warum man als erwachsener, selbständiger Student eine Gastfamilie braucht, der möge doch mit seinem kleinen Gastbruder in großen Tälern durch Wälder streifen, an Flüssen die Ruhe oder Aufregung beim Fischen oder Kanufahren geniessen und am Thanksgiving Day mit der Familie beim Truthahnbraten Kindheitserlebnisse austauschen.

Es mag bei Ihnen der Eindruck entstehen, daß der fachliche Bereich zu kurz gekommen sei. Da werden wohl die meisten Studenten widersprechen. Es ist umgekehrt: man muß sich die Zeit für diese Aktivitäten nehmen, oftmals auf Kosten einer langen Nacht an der Thayer School. Die Ausbildung zum Bachelor of Engineering innerhalb von einem Dreivierteljahr ist nicht zu unterschätzen und anders als an heimischen öffentlichen Hochschulen. Zeitintensive Hausaufgaben und viele kleine Examen im Semester nehmen auf der anderen Seite den ungemeinen Druck vom Studenten, in einer alles entscheidenden Klausur die Leistung eines Semesters wiederzugeben, wie es die Praxis an heimischen Hochschulen verlangt.

Der Druck an dieser amerikanischen Hochschule entsteht durch die Projektarbeit, in der meist in Zusammenarbeit oder im Auftrag einer Firma ein schwieriges Problem gelöst werden muß, das die Praxis im späteren Berufsalltag annähernd wiederspiegelt. In kleinen Gruppen wird viel Wert auf Teamarbeit und richtige Verteilung der Aufgaben gelegt. Je selbstbewußter die eigenen Interessen und Fähigkeiten verfolgt werden, desto weniger stört Konkurrenzdenken. Es ist schade, daß es die deutsche Studienordnung nicht erlaubt, daß im Rahmen dieses Programms eine Studienarbeit nicht selbständig, sondern als Kleingruppenarbeit abgelegt werden kann. Hier sollte man sich über eine freiere Ordnung Gedanken machen, z.B. könnte eine der zwei Studienarbeiten als Teamarbeit stattfinden. Der Gefahr, daß Aufgaben ungleich verteilt werden könnten, müßte man dann vielleicht mit einer gruppeninternen Bewertung entgegenwirken.

An dieser Stelle möchte ich einen Vorteil des deutschen Systems herausheben. Das wissenschaftliche Lernen und die akademische Ausrichtung findet an der RWTH Aachen in stärkerenm Maße statt, wohingegen aus Zeitgründen an der Thayer School die reine Anwendung betont wird mit der Rechtfertigung, daß Ingenieure im späteren Berufsleben auch mehr Anwenden als Ableiten würden. Ich bin jedoch der Meinung, daß eine fundierte Grundlage an Wissen die Basis dafür ist, ingenieursmäßig bzw. wissenschaftlich arbeiten zu können.

Ich bin froh, daß ich zum Schluß doch noch ein paar kritische Anmerkungen von mir gegeben habe. Zum Abschluß möchte ich mich bei allen bedanken, die dieses Auslandsstudium möglich gemacht haben und hoffentlich noch vielen Studenten möglich machen werden.


Dieter Ulber, 15.12.97