Hexenprozesse

So schwierig eine Analyse der tatsächlichen Ursachen für die Hexenverfolgungen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach wie vor ist, es sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß Lemgo eine unrühmliche Sonderstellung bei den Hexenprozessen einnahm. Die Prozesse gelten zunächst als Konsequenzen, die Kriegszeit, gesellschaftlicher Wandel und die damit verbundene Verunsicherung und Entwurzelung der Menschen mit sich brachten. Aber es sind verschiedene Phasen der Hexenverfolgungen, die Lemgo aber auch ganz Lippe im Verhältnis zum nordwestdeutschen Raum seinen traurigen Ruhm eingebracht haben. Von den fünf Verfolgungswellen finden zwei vor dem Krieg und nur eine während der Kriegsjahre statt, und zwar von 1628 bis 1637. Die Literatur nennt mehrfach den Einzug der Schweden als Grund für die Beendigung dieser Verfolgung, also eine äußere Ursache, die aber nicht weiter erläutert wird. Die nächsten Wellen der Hexenprozesse beginnen erst einige Jahre nach dem Westfälischen Frieden. Die letzte dieser Phasen der Verfolgung unterscheidet sich erheblich von den vorangegangenen. Während der Jahre 1628 bis 1637, in denen hauptsächlich Angehörige einkommensschwächerer Schichten verfolgt und hingerichtet wurden, führte die Stadt Klage gegen 111 ihrer Einwohner. Verhängnisvoll wirkte sich für diese Menschen die Tatsache aus, daß die Stadt Lemgo durch Verpfändung des Landesherren das ius gladii, also die Halsgerichtsbarkeit, autonom besaß, d.h. die Stadt führte alle Hexenprozesse aufgrund eigenen Rechts. Der Bezug zur ´Carolina´ (Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.) wird auch in den Begründungen des städtischen Vorgehens gegen vermeintliche Hexen immer hergestellt. Nach der ´Peinlichen Halsgerichtsordnung´ Karls V. sollten der Hexerei überführte Personen durch Feuer hingerichtet werden. In der Gesellschaft einer Epoche, in der an magische Praktiken auch im positiven Sinn geglaubt wurde, lag es nahe, ihren Einsatz auch zur Lösung von Konflikten zu vermuten. Ein schönes Zeugnis für die Durchdringung des Alltags mit ´magischen´ Vorstellungen sind abergläubische Warnungen und Anweisungen wie diejenige von dem neuen Messer: Der erste mit ihm geschnittene Bissen sollte einem Hunde gegeben werden, dann wurde man das Messer nicht mehr verlieren können. Nun gab es den Glauben an Zauberei schon recht lange. Trotzdem können wir im 17. Jahrhundert abgesehen von der Menge der Fälle einen qualitativen Unterschied in der Auffassung, dem Prozeß und vor allem der Bestrafung des ´Verbrechens´ feststellen.

Der Prozeß

Wie überführte und verurteilte man aber eine Person der Hexerei? Der erste Schritt hin zur Verurteilung, jemanden als Hexe zu ´beklaffen´ oder einen Schadens zauber zu unterstellen, war nach den oben angestellten Überlegungen nicht so abwegig. Der Magistrat beauftragte daraufhin den Stadtsekretär mit den Ermittlungen, zu denen Zeugenbefragungen und die Durchsicht vorangegangener Besagungen gehörte. Zeitigte die Untersuchung kein ausreichendes Ergebnis und zweifelte der Rat an seinem Recht, zu klagen, wurden die juristischen Fakultäten, meistens Rinteln, befragt. Deren Antwort verurteilte die Angeklagten in vielen Fällen zum Tod. Hier ist festzuhalten, daß mit der Ansprache und den Urteilen der Universitäten, der Carolina und der Verbreitung der Hexenlehre in der Schicht der Gebildeten sicherlich eine ganz andere gesellschaftliche Autorität hinter den Verfolgungen stand, als in den Zaubereifällen des Mittelalters. Insgesamt kann man mit einzelnen Ausnahmen für Lemgo davon ausgehen, daß wer beklagt war, auch verurteilt und hingerichtet wurde. Nach dem meistens auf der Folter, zum Beispiel der 1582 in Lemgo eingeführten Wasserprobe, erpreßten Geständnis, das für eine Verurteilung zwingend erforderlich war, fanden die abschließende Verhandlung und die Urteilsverkündung öffentlich statt. Die Hinrichtung geschah unmittelbar danach. Eine Richtstätte Lemgos lag auf dem Holster Berge.

Die Verfolgungen nach 1660

Der deutlichste Wandel, der sich vermutlich sowohl auf den Einfluß des Krieges, die konfessionellen Auseinandersetzungen als auch die schlechte wirtschaftliche Lage zurückführen läßt, trat in der Verfolgungsphase nach dem Krieg auf, in den Jahren 1663 bis 1681. Ein neues Amt wurde 1666 mit dem ´Direktor des Peinlichen Gerichtes´ geschaffen, das zuerst von dem heute noch als ´Hexenbürgermeister´ bezeichneten Hermann Cothmann, selbst Sohn einer hingerichteten Hexe, besetzt wurde. Schon das ist ein Anzeichen für eine andere Wertung, die den Hexenprozessen in der Stadt widerfuhr. Anders sind auch die betroffenen Personengruppen: Sei es die Witwe Böndel, die wirtschaftlich erfolgreiche Hinterbliebene eines Kaufmannes, Andreas Koch, der einzige Pastor, der durch eine Anklage wegen Hexerei sein Leben verlor, oder auch Johann Rottmann, erfolgreicher Kaufmann und Gastwirt. Die Tatsache, daß Pastor Koch sein Ende durch Hinrichtung fand, zeigt die Entgrenzung der Verfolgungen. Der letzte Prozeß gegen eine Hexe wurde in Lemgo 1681 geführt.

Das Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo

Das 1568 erbaute Haus Breite Straße 19, mit einer Fassade von 1571, wurde von dem berüchtigten ´Hexenbürgermeister´ Hermann Cothmann bewohnt. Nach ihm hat das Haus noch heute den Namen ´Hexenbürgermeisterhaus´ (Photo 1958)